Die Eingliederungshilfe in Berlin

25. September 2024

Darstellung aus der fachlichen Sicht eines freien Trägers

Freie gemeinnützige Träger sind Leistungserbringer der Eingliederungshilfe. Sie erbringen für Menschen mit Behinderungen Assistenzleistungen zur Sozialen Teilhabe. Klingt einfach. Ist es aber nicht.

Landläufig sprechen wir von geistiger, körperlicher, seelischer oder Sinnes-Beeinträchtigung. Die jeweils damit verbundenen Bedarfslagen haben bei den Leistungserbringern Spezialisierungen, d.h. ein vertieftes Fach- und Erfahrungswissen für bestimmte Personengruppen hervorgebracht. Der größte Teil der Leistungen wird in Berlin individualisiert und ambulant erbracht. Wo Einrichtungen für Menschen benötigt werden, erhalten die Menschen auch dort eine individuell abgestimmte Betreuung.

Menschen mit Behinderungen sind derart unterschiedlich, dass jede Arbeitsbeziehung einzigartig ist. Genau darauf stellen sich die Fachkräfte der Leistungserbringer ein. Die Qualität einer solchen Arbeitsbeziehung ist hoch professionell und zutiefst menschlich. Sie ist von Respekt, Vertrauen und Verantwortung geprägt.

Als Leistungserbringer der Eingliederungshilfe sichern wir diese Qualität seit Jahrzehnten an 365 Tagen im Jahr. Wir schulen unsere Mitarbeitenden, wir pflegen einen achtsamen und wertschätzenden Dialog mit den Menschen mit Behinderung. Wir lernen kontinuierlich und immer wieder aufs Neue, wie wir jede einzelne Person ihrem Willen gemäß unterstützen können.

Wir haben viel Erfahrung in dieser Arbeit. Wir stellen uns auf Menschen ein, die alltäglich Barrieren und Missachtung erleben, da die Umwelt ihnen keinen gleichberechtigten Platz einräumt. Auf Menschen, die von gesellschaftlichen Ereignissen ausgeschlossen sind. Auf Menschen, die eine Suchterkrankung mitbringen. Auf Menschen, die sich, um zu überleben, in eine psychische Erkrankung gerettet haben. Auf Menschen, die Missbrauch, Gewalt und Vernachlässigung erfahren haben und ihr Leben nicht mehr alleine bewältigt bekommen.

Menschen mit Behinderungen sind nicht einfach Personen, die ein wenig oder auch mehr Assistenzleistungen brauchen, damit die Welt wieder in Ordnung kommt. Die Lage stellt sich sehr viel komplexer dar, will man dem Anliegen der Behindertenrechts-Konvention auf gleichberechtigte Teilhabe gerecht werden. Denn zu den Besonderheiten eines Menschen gehört seine Lebensgeschichte, seine aktuelle Lebenssituation und seine Zukunftsperspektive.

Unsere Fachkräfte stehen mit Leidenschaft und Selbstverständlichkeit als Unterstützende zu Verfügung. Sie achten die Individualität jeder einzelnen Person. Sie achten das Lebensumfeld und die Bedeutung für die Person. Sie achten die Wünsche und Bedürfnisse der Person. Sie befördern und befähigen Menschen mit Behinderung in ihrem Sozialraum teilzuhaben. Sie befähigen Menschen im Sozialraum, Menschen mit Behinderungen selbstverständlich als Mitglieder im Sozialraum zu sehen. Dafür braucht es jede Menge Fingerspitzengefühl. Es braucht Wissen um soziale, psychische, gesundheitliche, körperliche Prozesse. Es braucht Kompetenzen im gesellschaftlichen Gefüge positive Veränderungen anzuregen. Das alles und noch viel mehr haben und leisten die Fachkräfte bei uns als Leistungserbringer der Eingliederungshilfe.

Denn wir stehen aus tiefster Überzeugung für Personenzentrierung, wie sie das BTHG verlangt. Auf die Umsetzung dieser fachlichen Haltung in konkrete Vorgaben, haben wir viele Jahre gewartet. Unser Anliegen ist: Einen Menschen mit Behinderung in der Wechselwirkung mit seiner Umwelt ernst nehmen und mit ihm gemeinsam herausfinden, wie seine Soziale Teilhabe verbessert werden kann. Hier geht es nicht um stumpfe Dienstleistung, die lediglich Defizite ausgleichen soll. Das ist nicht der Bedarf eines Menschen, sondern ein Vorurteil. Es geht also nicht darum, dass von einer Behörde bestimmt wird, welchen Bedarf ein Mensch mit Behinderungen hat oder gar haben darf. Es geht um eine hochkomplexe und damit würdevolle Beachtung aller Einflussfaktoren im Leben eines Menschen. So will es das bio-psycho-soziale Modell, mit dem Teilhabe-Bedarfe gemäß BTHG erfasst werden müssen. Es geht also um einen Austausch auf Augenhöhe. Einen Austausch zwischen Leistungsberechtigten, Fachkräften des Leistungserbringers und den jeweils zuständigen Personen im Teilhabefachdienst.

Dafür brauchen wir Ressourcen, die großzügig bemessen sind. Dafür brauchen wir Vertrauen in unsere Fachkompetenz und Wertschätzung für unsere inklusive Arbeit. Dafür brauchen wir Freiheit, um uns auf die Menschen und die Situation immer wieder neu einstellen zu können. Dafür brauchen wir Bereitschaft und den Willen immer wieder von Neuem miteinander ins Gespräch zu gehen. Denn all das schafft Zeit und Raum für die Grundforderung des BTHG bezogen auf die Leistungen für Menschen mit Behinderung: “ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken.” Jeder Ansatz der Kleinlichkeit im Sinn hat, muss zwangsläufig an der Komplexität dieses gesellschaftlichen Anspruchs scheitern oder den Anspruch sträflich ignorieren. Denn das Vorhaben, diesen Anspruch umzusetzen, braucht einen kontinuierlichen konstruktiven, kritischen und wertschätzenden Austausch, sonst werden die Belange der vielen unterschiedlichen Menschen mit Behinderung in Berlin missachtet.

Die derzeit laufenden Verhandlungen zum Berliner Rahmenvertrag Eingliederungshilfe sind mehr als nur ins Stocken geraten. Vorwürfe und Unterstellungen greifen Raum. Wir glauben, weil die hier beschriebene Umsetzung der Eingliederungshilfe in Berlin und ihre Anliegen zunehmend in Vergessenheit geraten. Deswegen müssen wir sie in Erinnerung bringen, damit sich die positive, inklusive Energie, die wir in vielen Einzelfällen erlebt haben und weiter erleben wollen, auch auf der Metaebene der Vertragsverhandlungen entfalten kann.

Als freier Träger nehmen wir gerne weiterhin gemeinsam mit den Vertragspartner:innen im Land und den Handelnden im Bezirk Verantwortung für die Sicherung breit aufgestellter Rahmenbedingungen der Arbeit der Fachkräfte. Dies um der Vielfalt und Einzigartigkeit der Bedarfe und Lebensentwürfe von Menschen mit Behinderungen auch in den nächsten Jahren gerecht werden zu können.

Wir stehen dafür ein, Räume zu öffnen statt sie enger zu machen und plädieren für mehr fachlichen Austausch statt mehr formaler Kontrolle.

Personenzentrierung verstehen wir von der Bedarfsermittlung bis zur Evaluation unserer Leistungen als gemeinsamen Prozess, den es gilt im Sinne der Menschen mit Behinderung gut zu moderieren.

Markus Kurrle
Therapeutischer Leiter
Geschäftsleitung COMES

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